Kerala und die letzten Tage "Heading East"

The journey not the arrival matters. – T. S. Eliot

Meine erste Nacht in Kerala verbrachte ich in Kochi. Die Stadt liegt an der Malabarküste im Südwesten Indiens und zog Händler und Entdecker schon vor mehr als 600 Jahren in ihren Bann. Der historische Stadtteil (Fort Kochi) wurde stark von den Portugiesen geprägt und bietet Reisenden heute eine Vielzahl attraktiver Übernachtungsmöglichkeiten.

Am Abend kaufte ich von den Händlern frischen Fisch und eine anständige Portion Garnelen, um sie mir dann in einem der vielen kleinen Restaurants als Abendessen zubereiten zu lassen.

Das Leben in Fort Kochi strahlte eine entspannte Atmosphäre aus und so blieb ich noch einen weiteren Tag und machte mich erst Sonntag Morgen in aller Früh auf den Weg nach Munnar. Ich wählte die Route entlang der Küste, sah unzählige belebte Kirchen und wurde von einem herrlichen Sonnenaufgang in den Backwaters begrüßt.

Am späten Nachmittag erreichte ich Munnar. Der kleine Ort in den Westghats von Kerala findet sich inmitten einer fantastischen Berglandschaft wieder. So weit das Auge reicht, werden Hügel und Hänge mit einem grünen Teppich aus Tee-Bäumen überzogen. Meine 1200 GS Adventure gab mir  einmal mehr die Freiheit, die Bergwelt von Munnar auf eigene Faust zu erkunden. So machte ich mich in den darauffolgenden zwei Tagen auf, um kleinen Pfaden durch das Hochland von Munnar zu folgen.

Dann führte mich mein Weg nach Valparai und kurz darauf zurück an die Küste nach Allapuzha – auch bekannt als Alleppey. Man kann die Backwaters auf verschiedenste Weise erkunden und eine beliebte und oft von Touristen gewählte Alternative sind die bekannten Hausboote in Kerala. In Goa bekam ich jedoch von Patricia und Jan, einem holländischen Ehepaar, den Tipp, mir in Alleppey ein Ticket für die öffentliche Fähre nach Kottayam zu kaufen. Die Fähre kommt einem Bus gleich, der in den Backwaters eine Vielzahl von Haltestellen anläuft. Im Vergleich zu den touristischen Hausbooten bekommt man mit der Fähre jedoch beim Einlaufen nach Kottayam einen wahren Einblick in das Leben der Menschen. Nicht das die Fähre sonderlich luxuriös gewesen wäre. Doch Luxus spielte auf dieser Reise schon lange keine Rolle mehr. Ich wollte das Leben der Backwaters sehen und für weniger als 50 Cent kreuzte ich fünf Stunden durch das verzweigte Wasserstraßennetz im Hinterland der Malabarküste. Ich sah, was ich zu sehen erhoffte.

Auf dem weiteren Weg nach Süden bat mich ein Freund, der Hindu Times ein Interview zu geben. Obwohl dieses Anliegen schon häufiger an mich herangetragen wurde, war ich doch bereits regelmäßig wieder auf der Strasse, bevor es tatsächlich zu einem festen Termin kam. In diesem Fall tat ich Jerim jedoch den Gefallen und stoppte somit noch einmal für ein persönliches Gespräch in Trivandrum. Wenige Tage später veröffentliche THE HINDU einen Artikel mit dem Titel „Wonder of Wanderlust“.

Langsam kam ich der Südspitze Indiens immer näher und verbrachte lediglich noch zwei Nächte in Kovalam bevor ich Kanyakumari, den kleinen Fischerort am Kap Komorin erreichte. Als ich am Nachmittag durch den Ort schlenderte, hörte ich plötzlich jemanden meinen Namen rufen. Zu meiner Überraschung traf ich noch einmal auf Christian, einen Deutschen, welchen ich in Fort Kochi kennengelernt hatte. Zusammen verbrachten wir einen schönen Abend, bevor es für mich Zeit wurde, zu Bett zu gehen. Ich hatte vor, das Kap gegen 4:00 Uhr morgens wieder zu verlassen, um mich auf den langen Weg zurück nach Bangalore zu machen. Die Temperaturen reichten mittlerweile häufiger an die 40 Grad Celsius und es war somit ratsam, noch vor Sonnenaufgang zu starten. Nach lediglich einer Nacht in Bangalore war ich am darauffolgenden Abend zurück in Gokarna.

Kurz bevor ich Gokarna am Abend erreichte, stoppte mich eine Polizeikontrolle. Sie hatten bereits ein junges Pärchen auf einer Royal Enfield angehalten, da Urlauber hier nicht selten Motorräder ohne gültige Papiere mieten. Ich fragte den Officer freundlich, was er von mir wolle und er sagte, er möchte meinen Führerschein, Fahrzeugpapiere und den Reisepass sehen …

Nun muss man sich die Situation kurz vorstellen: Ich hatte mehr als 16.000 Kilometer auf indischen Strassen hinter mir. Zu keiner Zeit hat mich irgend eine Polizeikontrolle (von denen es reichlich gab) angehalten und nach meinen Papieren gefragt. Nun dürfte ich nach einem langen Tag bei bis zu 41 Grad und in voller Montur auch keineswegs so ausgesehen haben, als würde ich mal eben einen illegalen Nachmittagausflug machen … Ich sah ihn nur überrascht an, lächelte und fragte ihn, ob er das tatsächlich ernst meinte. Es war der erste Polizist, der mich innerhalb der letzten fünf Monate, die ich bereits in Indien zubrachte, nach meinen Papieren fragte … Nun lächelte auch er und meinte dann nur, dass ich schon alles dabei haben würde. Dann winkte er mich freundlich durch.

Es waren die letzten Tage meiner Reise und es wurde zunehmend heißer auf dem Subkontinent. Der Monsun würde in wenigen Wochen die viermonatige Regenzeit im Land einläuten. Viele Shacks, kleine Hütten am Strand hatten bereits zugemacht und ich hoffte nur, dass mein Lieblingsrestaurant noch nicht abgebaut hatte. Doch das „Bhagavan Cafe“ war noch offen. Ich wurde freundlich begrüßt, genoss es, den menschenleeren Strand entlang zu laufen, im warmen Wasser zu baden, die Füße in den Sand zu stecken, zu Schreiben, zu Lesen und dabei von einer exzellenten Küche kulinarisch umsorgt zu werden.

Von Karnataka fuhr ich nach Palolem, einem traumhaften Strand im Süden von Goa. Es ist für mich der wohl mit Abstand schönste Strand im kleinsten Bundesstaat Indiens und wäre er es nicht schon von Natur aus gewesen, so hätten ihn meine persönlichen Erlebnisse zweifelsohne dazu gemacht. Palolem wird mir immer in Erinnerung bleiben …

Doch „Not all those who wander are lost“ … und nach einer weiteren Nacht in Vagator im Norden von Goa, sattelte ich meine 1200 GS Adventure zum letzten Mal. Es waren noch einmal knapp 600 Kilometer und anstatt des Highways wählte ich die Route entlang der Küste.

Es war ein sonniger Tag. Doch war es auch ein nachdenklicher Tag. Viele Eindrücke und Erinnerungen gingen mir durch den Kopf. Ich dachte an die ersten Tage auf der Strasse, an Menschen denen ich begegnet bin, den tragischen Unfall in China und an manch Abenteuer entlang des Weges …

Ich verließ meinen Heimatort im Norden Deutschlands an einem Montag Morgen im April kurz vor Sonnenaufgang. Ein Jahr und mehr als 50.000 Kilometer später war es ein Sonntag Abend lange nach Sonnenuntergang. Mit nicht mehr ganz frisch aussehenden Klamotten, abgewetzten Stiefeln, manchem Kratzer und Staub im Gesicht erreichte ich schliesslich die Millionenstadt Mumbai. Das frühere Bombay im Bundesstaat Maharashtra war die letzte Metropole meiner Reise. Von hier aus würde ich in wenigen Tagen mein Bike und einen wesentlichen Teil meiner Ausrüstung heimschicken.

Das Abenteuer „Heading East“ würde hier zu Ende gehen …