Indien - Eine andere Welt

 To love. To be loved. To never forget your own insignificance. To never get used to the unspeakable violence and the vulgar disparity of life around you. To seek joy in the saddest places. To pursue beauty to its lair. To never simplify what is complicated or complicate what is simple. To respect strength, never power. Above all, to watch. To try and understand. To never look away. And never, never to forget. ― Arundhati Roy

„Incredible India“ ist in vielerlei Hinsicht „unglaublich“: Unglaublich farbenfroh und schön, doch zugleich so unglaublich chaotisch, dreckig und laut. Unglaublich reich an Kultur und Geschichte und doch so unglaublich arm, befremdlich und anders als die Westliche Welt …

Trotz der vielen Monate, die ich mittlerweile durch fremde Ländern und Kulturen gereist bin, brauchte ich einige Tage, um mich an die neuen „Gesetzmäßigkeiten“ zu gewöhnen. Auf dem langen Weg nach Indien kam es immer wieder mal zu kritischen Situationen auf der Strasse. Gelegentlich habe ich mir dann zu sagen versucht, dass all dies nur „Trockenübungen“ im Vergleich zu dem sind, was mich vermutlich in Indien erwarteten wird. Und damit lag ich keineswegs falsch.

Auf indischen Strassen spielt es keine Rolle, wo man herkommt. Jeder wird gleich behandelt. Klingt zwar fair, ist aber in einer Art und Weise rücksichtslos und gefährlich, dass ich meine Mühe mit den hiesigen „Umgangsformen“ hatte.

Es war ein Sonntag und es war der Hauptfesttag von Diwali, dem hinduistischen Fest des Lichts. Ich erreichte die Grenze am frühen Vormittag. Während ich mich noch darüber wunderte, wo und wann ich den Zoll auf nepalesischer Seite passieren würde, hatte ich den Grenzposten auch schon hinter mir gelassen. Nun, es wäre zu schön gewesen, wenn die Welt tatsächlich so einfach wäre, doch ich brauchte dringend einen Ausreisestempel in meinem Carnet de Passages. Wo also war die Zollkontrolle? Wie sich herausstellte, hatte ich diesen Posten schon längst passiert, ohne dass es jemand für nötig gehalten hätte mich anzuhalten. Es war also an mir, dafür zu sorgen, dass alles rechtmäßig verläuft. Das Vorgehen war mir neu … In jedem Fall musste ich noch einmal zurück hinter den Grenzbalken, um meine eigene lückenlose Dokumentation sicherzustellen.

Auf indischer Seite wartete dann die nächste Überraschung. Wie sich herausstellte, wurde mein Carnet in Nepal falsch gestempelt. Dort wo der Ausreisestempel hätte erscheinen sollen, befand sich der Einreisestempel. Dieser Fehler war aber bereits im Hauptzollamt des Flughafens in Kathmandu gemacht worden. Großartig. Nach einigen Diskussionen mit dem indischen Zollbeamten machte sich dieser schließlich doch noch daran, die nächste Seite meines Dokumentes ordnungsgemäß von seiner Seite zu stempeln. Im Carnet de Passages sollte man derart fehlerhafte Dokumentationen besser vermeiden, da hierfür im Heimatland entweder signifikante Geldsummen oder Bankbürgschaften hinterlegt werden müssen. Bleibt zu hoffen, dass der Vorfall nicht irgendwann zu weiterer Verwirrung führt.

Dann war ich in Indien, einem Land, welches vielleicht besser zu verstehen ist, wenn man es als multikulturellen Subkontinent zu begreifen versucht. An diesem Sonntag hatte ich noch gut 350 Kilometer vor mir. Doch die Strassen waren schlecht und ich kam nur langsam voran. Auch musste ich innerhalb der nächsten Stunden feststellen, dass Umsichtigkeit auf indischen Strassen nicht viel galt. Jeder ist sich hier selbst der Nächste und fährt so, wie es ihm am ehesten dienlich ist. Vorfahrtsregeln haben wenig Bedeutung, Ampelfarben sind gut gemeinte aber fragwürdige Vorschläge zur Verkehrsregelung, Straßenschilder dienen lediglich als Orientierungshilfe ohne Verbindlichkeit und aus Seitenstrassen kommende Mopeds und Fahrzeuge gehen schlicht davon aus, dass der Hauptverkehr schon bremsen wird. Noch vor Sonnenuntergang war ich bereits zwei Mal einer Kollision nur knapp entgangen. Das konnte ja noch heiter werden.

Am Abend wurde ich in Dehradun erwartet und war recht froh, dass ich an diesem Tag bereits im Vorfeld wusste, wo ich die Nacht verbringen würde. Ich erreichte die Stadt erst in der Dunkelheit und irrte die letzte Stunde durch eine dunkle Berglandschaft ohne verfügbares Kartenmaterial. Es gab einfach zu viele Weggabelungen und mir blieb nichts anderes übrig, als einen Pfad nach dem anderen auszuprobieren, um so meinem gesetzten GPS Punkt näher zu kommen. Nicht selten durfte ich umkehren. Anrufen konnte ich nicht, da meine Nepalesische SIM Karte nicht mehr funktionierte. Am Ende traf ich in der Dunkelheit auf ein paar junge Inder, welche meine Suche deutlich verkürzten. Roopak hieß mich mit einem freundlichen Lächeln herzlich willkommen, während ich wenig später auf dem Weg ins Bad feststellen musste, dass mein rußverdrecktes Gesicht, dem eines Schornsteinfegers glich. Doch eine Dusche und frische Kleidung können wahre Wunder wirken und so verbrachte ich den restlichen Abend im Rahmen der Familie und wurde herzlich eingeladen, den Feierlichkeiten des Diwali Festivals beizuwohnen.

Am nächsten Tag war mir Roopak dabei behilflich, eine lokale SIM Karte für mein Telefon zu besorgen. Es sollte allerdings noch Tage dauern, bis diese Karte tatsächlich aktiviert wurde. Am Ende der Woche hatte ich ihm eine Vielzahl nerviger Telefonate zu verdanken. So ziemlich alles in Indien involviert weit mehr Papier als ich es aus anderen Ländern kannte und noch oft würde ich mich in den kommenden Monaten fragen, wer eigentlich all die Informationen jemals konsolidieren wollte, die ich im ganzen Land an unzähligen Orten in Formulare oder Bücher eintrug.

Während ich mit Roopak durch die Stadt fuhr, machte er mich darauf aufmerksam, dass viele Fahrzeuge in Indien keine Außenspiegel (mehr) haben oder diese bewusst einklappen. Damit dürfte klar sein, dass es niemanden wirklich interessiert, was hinter einem passiert. Dafür wird jedoch erwartet, dass man Überholmanöver mittels Hupe ankündigt. Auf nahezu allen Lastwagen und Bussen findet sich die ausdrückliche Aufforderung „Please Horn!“ Wenn ich also eines an meiner BMW-Standardkonfiguration ändern würde, dann wäre es eine deutlich größere Hupe. Manche Mopeds klangen wie Busse. In dieser Hinsicht fiel meine Originalausstattung ausnahmsweise mal etwas zu bescheiden aus.

Amritsar – Sonnenaufgang im Heiligtum der Sikh

Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Roopak und machte mich auf den Weg nach Amritsar. Die Stadt liegt im Nordwesten Indiens, kurz vor der pakistanischen Grenze. Amritsar an sich ist nicht  wirklich eine Reise wert. Die Stadt ist bedauerlicherweise recht dreckig und ansonsten wenig spektakulär. Nach einem recht langen und ermüdenden Tag auf der Strasse befand sich meine Stimmung nicht gerade auf einem emotionalen Höhepunkt, als ich mich mit meiner GS durch die verstopften und überfüllten Strassen der Stadt schob.

Ich suchte mir daraufhin ein halbwegs ansprechendes Hotel außerhalb des Zentrums. Doch das erste, was ich sah, als ich auf meinem Zimmer das Licht anknipste, war eine Kakerlake, welche die Wand hochschoss. Die Bettlaken waren fleckig und die Dusche verkeimt. Passte irgendwie zur Stadt … Willkommen in Indien!

Doch in dieser wenig attraktiven Stadt findet sich das Heiligtum der Sikh und ich wollte am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang den Goldenen Tempel – Harmandir Sahib – besuchen. Gegen 4:30 Uhr in der Früh war ich keineswegs alleine. Hunderte Gläubige folgten einer Prozession, badeten im heiligen Wasser  oder beteten innerhalb der Tempelanlage.

Kashmir – Der politische Brennpunkt

Am späten Vormittag verließ ich dann jedoch Amritsar und machte mich auf den Weg in den Norden. Ich wollte noch vor Wintereinbruch ins Kashmir Valley. Die Strecke von Jammu nach Kashmir windet sich auf gut 300 Kilometern durch die Berge und da das Kashmir Valley immer noch einen politischen Brennpunkt zwischen Indien und Pakistan darstellt, mangelt es in der Region auch nicht an Militärpräsenz. Zudem hatte ich auf meinem Weg nach Srinagar das Vergnügen, mir die Strasse mit einem Militärkonvoi  zu teilen. Auf teilweise engen Bergstraßen muss ich an diesem Tag wohl hunderte von Bussen und Lastwagen überholt haben. Manch einer mag erahnen, wie viel Russ mir bei den hiesigen Abgasnormen ins Gesicht geblasen wurde.

Ursprünglich hatte ich vor, in den kommenden Tagen weiter nach Ladakh zu fahren. Es wäre noch einmal ein wahrer Höhepunkt im Himalaya gewesen. Doch es waren noch zwei weitere volle Tage von Srinagar über Kargil nach Leh. Die Strecke führt über zwei der am höchsten gelegenen Pässe der Welt. Beide über 5.000 Meter, wobei die Temperaturen weit unter Null Grad fallen. Zudem war es bereits Mitte November und es gab ein erhöhtes Schneefallrisiko im Himalaya. Die andere Seite der Bergregion, die Strasse von Manali nach Leh war bereits gesperrt. Ich müsste also den gleichen Weg wieder zurück. Noch einmal zwei Tage … Würde es demnach innerhalb der nächsten Tage erneut schneien, wäre es nicht unwahrscheinlich, dass die Pässe für dieses Jahr endgültig gesperrt werden. Und dann sitzt man im wahrsten Sinne des Wortes fest … und zwar bis zum Frühling, da die Pässe für gewöhnlich erst wieder Ende April / Anfang Mai befahrbar sind. Als Roopak von meinen Plänen hörte, meinte er nur lächelnd: „If you try to get to Ladakh by now, you are really asking for trouble.“

Die endgültige Entscheidung fiel in Srinagar. Schweren Herzens musste ich meine ursprünglichen Pläne aufgeben. Es kostete mich acht Stunden von Jammu nach Srinagar, wobei die Temperaturen bis auf 4 Grad fielen. Meine Hände waren klamm und die Kälte saß mir in den Knochen. Weitere acht Stunden unter Null Grad Celsius waren keine so wirklich gute Idee in meiner „Sommerausrüstung“ und so sehr ich die Eigenschaften meiner 1200 GS zu schätzen wusste, sie war weit davon entfernt, sich mit einem Schnee-Mobil messen zu können. Ladakh würde ich also nicht mehr sehen …

Auf meinem Weg von Jammy & Kashmir nach Delhi, verbrachte ich einen angenehmen Abend in McLeod Ganj einem kleinen Ort oberhalb von Dharamsala, im Bundesstaat Himachal Pradesh.  Es ist der Wohnort des Dalai Lama, sofern dieser nicht gerade durch die Welt reist. Die Residenz des tibetanischen Oberhauptes hat dem Ort einen touristischen Aufschwung beschert, bietet jedoch eine Vielzahl guter Übernachtungsmöglichkeiten und kleiner, netter Restaurants.

Nach einer weiteren Nacht in Shimla machte ich mich auf den Weg nach Delhi, wo ein Freund mich willkommen hieß. Roopak begrüßte mich wie üblich mit einem Lächeln und half mir in den darauffolgenden Tagen, meine To-Do-Liste abzuarbeiten: Der Tankrucksack brauchte einen neuen Reißverschluss, meine Motorradhose musste genäht werden und mein Hinterradreifen wartete darauf, zum sechsten Mal geflickt zu werden.

Kurz darauf war ich wieder gerüstet, um in den kommenden Wochen die Wüste Rajasthans, den Taj Mahal, Jaipur und Udaipur sowie einen gewaltiger Salzsee in Gujarat zu erkunden …

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