Kathmandu - Staubige Strassen und Stromausfälle

The saddest thing I can imagine is to get used to luxury. – Charlie Chaplin

Es war der gewohnte Griff zum Lichtschalter, als ich am Abend in das kleine Waisenhaus zurück kam und die Kids nur meinten „Kein Strom!“ und der Gang zum Bad am nächsten Morgen (wobei der Begriff „Bad“ hier ein wenig irreführend erscheint, ohne weiter in die Details zu gehen), als mich die Kinder auf dem Flur begrüssten, mein Handtuch und meine Zahnbürste sahen und mir lachend zuriefen „Kein Wasser!“. Momente, die mich einmal mehr innehalten liessen …

In meiner Welt sind diese Dinge zur Selbstverständlichkeit geworden. Strom und fliessend Wasser sind so selbstverständlich, dass wir kaum mehr darüber nachdenken. Es ist das normalste von der Welt. Wir betätigen den Schalter und das Licht geht an. Wir drehen den Hahn auf und das Wasser fliesst … Ein Abend im Dunkeln oder bei Kerzenlicht ist eher der Romantik gewidmet, nicht jedoch dem Alltag.

Das Leben in Nepals Hauptstadt sieht dagegen anders aus. Um Strom zu sparen, wird von Regierungsseite die Energieversorgung täglich abgeschaltet. Einmal am Tag ist nahezu die Regel, oft jedoch kommt es sowohl am Morgen als auch am Abend für einige Stunden zum Stromausfall. Gelegentlich fehlt es auch an fliessend Wasser in einem Land, in dem diese Ressource im Überfluss zur Verfügung steht. Was all das für die wirtschaftliche Entwicklung Nepals bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen. Was würde plötzlich alles nicht mehr funktionieren, wenn in unserer Welt morgens der Strom für drei Stunden ausfällt … und jetzt machen wir die Ausnahme mal zur Regel …

Die Armut in Nepal hat mich trotz der vielen Monate auf der Strasse überrascht. Keine Hauptstadt in Südostasien erschien mir so zurückgeblieben wie Kathmandu. Selbst Phnom Penh in Kambodscha oder Vientiane in Laos sehen deutlich besser aus als die Hauptstadt Nepals. Die staubigen Strassen veranlassen viele Menschen dazu, einen Mundschutz zu tragen. Obwohl man das dieser Tage auch in anderen Großstädten rund um den Erdball beobachten kann, in Kathmandu stellt sich nicht die Frage des „Warum“. Im Stadtverkehr geht es derart staubig zu, dass selbst ich darüber nachgedacht habe, mir eine solche Maske zu zulegen …

Am Flughafen angekommen, machte ich mich nach Erhalt des Visums auf, das Büro von THAI Airways zu finden. Von dort ging es kurz darauf zum Custom Office, wo ich mich mit Hilfe eines lokalen Zoll-Agenten um die Einfuhr des Motorrades kümmerte. Drei Stunden später konnte ich meine Kiste in Empfang nehmen und bei Sonnenuntergang war alles wieder zusammengebaut. Ich verabschiedete mich von den vielen hilfreichen Menschen, die um mich herum standen und verliess das Flughafengelände in Richtung Bhaisepati, einem Stadtteil im Süden von Kathmandu.

Die ersten drei Nächte verbrachte ich im Children Welfare Home, einem Waisenhaus für Kinder. Der Empfang war so herzlich … nur Kinder können einen derart begeistert willkommen heissen. Jedes dieser Geschöpfe hat seine eigene Geschichte. Wenn ich in die lachenden oder nachdenklichen Gesichter sah, musste ich mich oft fragen, was die ursprünglichen Eltern wohl sagen würden, sähen sie in diese Augen. Einige der Kinder wurden im Krankenhaus nach der Geburt zurückgelassen, andere haben Eltern, die es sich nicht leisten können, für ihre Kinder zu sorgen.

Meine kleine „Freundin“ hiess Mahyma. Sie hatte grossen Spass daran, mir auf den Rücken zu klettern, wenn ich auf den Stufen vor dem Haus sass. Doch ist sie nur eines der Kinder, welche hier – dank Maya – ein zu Hause gefunden haben. Maya Tamata leitet das Haus seit vielen Jahren und kämpft derzeit um das Überleben der kleinen Organisation. Auch an Ihr ist die globale Finanzkrise nicht spurlos vorüber gegangen. Sie hat in den vergangenen Jahren viele Sponsoren verloren. Nicht, dass es im Waisenhaus sonderlich luxuriös aussähe. Es gibt einen kleinen Schlafraum mit Doppelstockbetten für Jungen und einen für Mädchen. Geduscht wird lediglich mit kaltem Wasser und gegessen wird auf dem Fussboden. Falls also jemand nicht so recht weiss, was er zu Weihnachten Gutes tun soll, Maya ist für jegliche Hilfe dankbar …

Nach drei Tagen verliess ich Kathmandu. Zu dieser Zeit war „Dasain“, das grösste und glückverheißende Festival Nepals bereits in vollem Gange. Das Fest geht über 15 Tage und viele Geschäfte und Regierungsstellen sind in dieser Zeit geschlossen. Die Menschen kehren während dieser Tage in ihre Heimatorte zurück, um ihre Familien zu besuchen und um die Hauptfeiertage gemeinsam zu verbringen.

Meinen Reisepass liess ich in der Hoffnung in Kathmandu zurück, dass die kleine Visa-Agentur vor der Indischen Botschaft mir innerhalb der nächsten 10 Tage das erforderliche Multy-Entry Visum für Indien beschaffen würde. In der Zwischenzeit wollte ich den Osten des Landes bereisen. Die Realität sah dann aber doch leicht anders aus. Nach endlosen Telefonaten sah ich meinen Pass vier Wochen später mit lediglich einem Single-Entry Visum auf einem kleinen Wald- und Wiesenflugplatz im Westen des Landes wieder. Einen Tag vor meiner Ausreise.

Obwohl Oktober und November die beste Reisezeit ist, um die Bergwelt des Landes zu erkunden, durchkreuzte Zyklon Phailin, welcher Indien im Oktober heimsuchte, meine Pläne und zeigte seine massiven Auswirkungen auch in Nepal. Ich hatte noch genau zwei sonnige Tage nachdem ich Kathmandu verliess, bevor sich der Himmel schloss und ich von den Bergen im Osten nur noch wenig zu sehen bekam. In Jiri, einem kleinen Ort im Himalaya, von wo aus viele Expeditionen zum Mt. Everest Base Camp starten, sass ich zwei Tage fest, da es einfach nicht aufhören wollte zu regnen.

Der Himalaya ist ein wahres Trekking-Paradies, aber um in die entlegenen Regionen zu gelangen, muss man sich eben auch der Strassen bedienen. Nepal hat einige gute Strassen und viele, viele nicht so gute. Schlechte Straßenverhältnisse kombiniert mit der hiesigen Fahrweise und dem Zustand der Fahrzeuge ergibt eine recht gefährliche Mixtur. Auf meinem Weg durch die Berge kam ich an so mancher Unfallstelle vorbei. Busse sassen an der Felswand fest, LKW’s hatten sich überschlagen, Kleinbusse lagen auf der Seite. Die ohnehin schon recht erbärmlichen Strassen in den Bergen sind üblicherweise so schmal, dass oft nur ein Fahrzeug Platz hat. Insbesondere schnell entgegenkommende Busse können einem das Leben somit deutlich erschweren und einen in wenig erfreuliche Ausweichmanöver auf losen Untergrund treiben. Doch auch auf dem Highway im Süden des Landes geht es nicht anders zu. Neben Menschen, Radfahrern und Motorrädern versucht jeder offensichtlich so weit wie möglich in der Mitte der Strasse zu fahren. Das kann schon sehr anstrengend sein. Mehr als einmal rauschte einer dieser rücksichtslosen Busse so dicht an mir vorbei, dass ich intuitiv die Hand vom Gas nahm und den rechten Arm dicht an den Körper zog. Das von BMW gewählte Motto „Aus Freude am Fahren“ traf hier nicht immer zu …

Nachdem ich wieder in Kathmandu war, traf ich mich mit Raj. Er half mir dabei, die notwendigen Genehmigungen für das Annapurna Conservation Area zu organisieren und lud mich ein, die Nacht in seinem Haus zu verbringen. Am nächsten Morgen wurde ich noch zu einem Treffen der Hope Foundation eingeladen und traf unter anderem auf den 67 jährigen Steven, der in Kathmandu Englisch unterrichtet und Nepal zu seiner Heimat gemacht hat.

Ganz gleich wie staubig, schlicht oder ärmlich ein Ort sein mag, es sind immer wieder die Menschen, denen man begegnet, welche die Erinnerungen prägen und Momente unvergesslich werden lassen.

Doch die kommenden Tage sollten mir nicht weniger in Erinnerung bleiben. Die härteste off-road Strecke der Reise wartete auf mich. Doch davon ahnte ich noch nichts, als ich mich in Kathmandu verabschiedete …

.