The brick walls are there for a reason. The brick walls are not there to keep us out. The brick walls are there to give us a chance to show how badly we want something. Because the brick walls are there to stop the people who don’t want it badly enough. They’re there to stop the other people.
– Randy Pausch
Es war der mit Abstand härteste Off-Road Trip, den ich jemals unternommen habe und mit einer voll beladenen GS Adventure würde ich es nicht noch einmal tun. Die Erfahrung hingegen ist unbezahlbar und ich möchte diese Tage im Annapurna Conservation Area keinesfalls missen. Es war wohl die Herausforderung, welche ich im Himalaya gesucht hatte, doch kam ich auch meinen physischen Grenzen an diesem Fleckchen Erde näher als erwartet …
Am Tag, als ich Kathmandu verliess wurde klar, dass die schlechten Strassen mit dem vielen Dreck und Müll ihren Tribut fordern würden. Ein gut acht Zentimeter langer Nagel hatte sich in meinen Hinterreifen gebohrt und an mehreren Stellen fanden sich kleine Schnitte und Glassplitter. Das war um so ärgerlicher, da meine in Thailand aufgezogenen Michelin-Reifen noch immer nahezu neuwertig waren. Mit diesem Tag sollte also auch eine lange Patchwork-Serie beginnen.
Ich verbrachte die Nacht in Pokhara und war am nächsten Morgen um 5 Uhr auf den Beinen. Eine Stunde später verliess ich die Stadt und machte mich auf den Weg ins 180 Kilometer entfernte Muktinath. Nach wenigen Kilometern auf der Strasse begrüsste mich der Tag mit einem atemberaubenden Sonnenaufgang und liess die schneebedeckten Bergkuppen rötlich leuchten. What a great day!
Auf der Hälfte der Strecke von Pokhara nach Muktinath kommt man durch Beni. Die Strasse ist bis hier weitestgehend gut asphaltiert, nimmt man nicht wie ich auf den letzten 10 Kilometern unbeabsichtigt die Parallelstraße auf der westlichen Flussseite. Somit erhielt ich etwas früher als erwartet eine Kostprobe von dem, was kommen sollte. Nachdem ich Beni wieder verliess, begann der eigentlich „interessante“ Teil des Tages …
Von Beni bis Muktinath waren es lediglich noch 90 Kilometer. Ich wusste, dass die Stecke off-road sein würde, doch ich hatte wirklich keine Ahnung, was der Himalaya an diesem Tag für mich bereit hielt …
Ich kam nur langsam voran und die Strasse wurde zunehmend schlechter. Modrige Passagen erschwerten mir das Durchkommen und nach etwa 10 Kilometern ging ich das erste Mal auf einer felsigen, mit Schlamm verschmierten Steigung zu Boden. Das war kein gutes Zeichen. Es war noch vor Mittag, meine Kondition war gut und meine physischen „Akkus“ voll geladen. Was würde mich auf den verbleibenden 80 Kilometern erwarten? Ich haderte mit mir. Sollte ich umkehren? Mittlerweile konnte ich ausmachen, dass ich pro Stunde nur etwa 10 Kilometer Wegstrecke gutmachen würde. Es schien bereits jetzt ein langer Tag zu werden. Das, was sich mir hier darbot, war keine Strasse mehr. Das waren Steigungen über stufenartige Felsen, grosse Steine, ausgespülte Flussbetten, gröbsten Schotter und Sand. Von Beni bis Muktinath windet sich der Treck von 800 Höhenmetern auf 3.800 Meter hinauf.
So lange man stehend auf dem Bike vorwärts marschiert, sind auch schwierige Passagen machbar. Die eine Hand am Gas, die andere an der Kupplung sprang mein Vorderrad nur noch rechts und links über Felsen und grosse Steine bergauf. Da kommt der Augenblick, wo man seine Pferde mal wieder zügeln muss. Kommt man jedoch zum Stehen, verliert man auch sein Momentum und auf solchen Steigungen und derart grobem Untergrund wieder in die Gänge zu kommen, birgt ein erhöhtes Crash-Risiko. Ich kam gar nicht mehr dazu, mich aufzurichten. Das Hinterrad rutschte beim Anfahren seitlich über die Felskanten und ich ging mit meiner Maschine zum zweiten Mal auf steinigem Grund hart zu Boden. F-U-C-K !
Der Gedanke einfach umzukehren ging mir auf den ersten 30 Kilometern mehrfach durch den Kopf. Die letzten beiden Stürze hinterliessen einige kleine Schäden, die ich jedoch provisorisch mit Kabelbindern fixen konnte. Was aber, wenn irgend ein elementares Teil am Bike bricht? Für diesen Aufstieg war die BMW einfach zu schwer. Das waren keine Alpenstraßen und Ersatzteile würde es in ganz Nepal nicht geben. Dennoch wollte ich nach Mustang. Die Region grenzt im Norden an China und die Tibetanische Hochebene und ich hatte so manches über das frühere Königreich von Lo gehört. Mit mir selbst im Zwiegespräch entschied ich mich dazu, nur einen derartigen off-road Trip in die Bergwelt Nepals zu unternehmen. Doch würde es genau dieser sein. Ich wollte nach Mustang und ich wollte bis nach Muktinath rauf …
Only those who will risk going too far can possibly find out
how far one can go. – T. S. Eliot
Gegen Mittag waren meine Akkus im roten Bereich und ich war wohl selten so erledigt, wie an diesem Tag. Man fährt über Stunden fasst nur stehend im ersten Gang und ich hatte ein Gesamtpaket von 400 Kilogramm bergauf zu wuchten. Trotz erfrischender 16 Grad war mein Shirt klatschnass und so mancher Kraftausdruck sollte an diesem Tag über meine Lippen kommen. Zu diesem Zeitpunkt entschied ich mich bereits, die Nacht in Jomsom zu bleiben und die restlichen 25 Kilometer am Folgetag anzugehen. Allerdings waren es noch weitere 40 Kilometer bis Jomsom. Vier weitere Stunden bergauf erschienen mir zu diesem Zeitpunkt wie eine kleine Ewigkeit. Weitere Pausen konnte ich mir kaum erlauben, da der Sonnenuntergang definitiv das Ende des Tages markieren würde und es war mehr als nur ratsam, bei Dämmerung eine Unterkunft ausgemacht zu haben …
Es wird ein unvergesslicher Aufstieg bleiben und die Bilder sprechen sicher für sich. Das letzte Stück Wegstrecke bestand nur noch aus einem schmalen Trekking-Pfad und liess meinen Adrenalinspiegel noch einmal sprunghaft ansteigen. Als ich Muktinath am Folgetag erreichte, hatte ich Blasen an beiden Händen und musste nach einer heissen Dusche feststellen, dass auch mein Hosengürtel mittlerweile auf dem kleinsten Loch angekommen war.
Das Foto mit meiner Adventure in Muktinath ist nur eines von vielen Bildern dieser Reise. Es ist noch nicht einmal eine sonderlich spektakuläre Aufnahme, doch steht dieses Bild für eine ungeahnte Herausforderung, Zweifel, Frustration, atemberaubende Momente, wunderschöne Landschaften und am Ende ein Ziel, das mich für alle Strapazen zu entschädigen wusste.
Die Nacht war kalt und meine Gedanken kreisten lange um den Abstieg. Irgendwann kam mir die hilfreiche Idee, die Sitzbank etwas tiefer zu stellen, was bei derart unebenen Terrain mehr Bodenkontakt erlaubt. Als ich den kleinen Ort am Morgen verliess, zeigte das Thermometer gerade einmal ein Grad Celsius an. Ich wischte den weisser Reif von der Sitzbank und trat den Rückweg an. Trotz Temperaturen um den Nullpunkt dauerte es keine fünf Minuten und Mensch und Maschine waren wieder auf Betriebstemperatur. Dafür sorgte allein schon der schmale Trekking-Pfad auf den ersten Kilometern. Am Ende war der Weg nach unten jedoch weit weniger anstrengend als ich vermutete und ich erreichte Beni nach gut 7 Stunden.
An den darauffolgenden Tagen drang ich weiter in den Westen Nepals vor, wobei mir auch die Nacht in Bahluwang noch länger in Erinnerung bleiben wird. Es war ein Sonntag und ich wollte nach Lumbini, dem Geburtsort von Siddhartha (Lord Buddha). Der Ort an sich ist jedoch recht unspektakulär. Es gibt einen grossen von Mauern umgebenen Park, in dem diverse buddhistische Staaten ihre Tempel errichten und aussen herum findet sich das ein oder andere Hotel. So entschied ich am frühen Nachmittag noch weiterzureisen und kam bei Sonnenuntergang nach Bahluwang.
Bahluwang ist ein unscheinbarer kleiner Ort, der auf der Durchreise liegt. Doch sollte ich die Nacht hier nicht alleine auf meinem Zimmer verbringen. Hunderte kleiner brauner Heuschrecken hatten an diesem Abend dieselbe Idee. Vom Licht magisch angezogen, musste man sich schon beim Abendessen mit diesen Grashüpfer nervig herumschlagen. Es gab ohnehin nur Dal Bath (Reis mit Linsensuppe) und ein paar wenig schmackhafte Stücken Schaf- oder Hammelfleisch. Dafür durfte ich aber so manche Heuschrecke aus meinem Essen fischen. Zurück auf meinem sehr bescheidenen 5 Dollar-Zimmer musste ich feststellen, dass ich mittlerweile nicht mehr alleine war und dutzende kleiner Zimmergenossen hatte. Grossartig! Ich hätte liebend gerne das Hotel gewechselt, doch ich hatte mir alle Unterkünfte in diesem kleinen Ort bereits zuvor angesehen. Wechseln war nicht wirklich eine Alternative. Mein Hotel schien schon die beste Wahl vor Ort gewesen zu sein. Also wünschte ich meinen kleinen und überall im Zimmer herumsitzenden Freunden eine gute Nacht und knipste das Licht aus.
Bevor ich Nepal verliess, verbrachte ich noch ein paar angenehme Tage in Birendranagar, wo ich mich vornehmlich mit der Frage nach meinem Indien-Visum herumschlug. Sumit, der Sohn des Hotelbesitzers stand mir dabei äusserst hilfreich zur Seite und führte so manches Telefonat in meinem Sinne. Von hier aus unternahm ich noch einen schönen Tagesausflug nach Dailekh und machte mich dann schliesslich auf den Weg in Richtung Dhangadhi. Nach gut vier Wochen wartete ich auf einer kleinen Landepiste im Westen Nepals auf meinen Reisepass.
Einen Tag später würde ich die Grenze nach Indien überqueren …