Anatolien

 There are hundreds of languages in the world, but a smile speaks them all.

Istanbul zu verlassen war wie erwartet mit endlosen Staus verbunden und so erreichte ich Safranbolu (aufgrund seiner Fachwerkhäuser von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt) auch erst nach Sonnenuntergang. Der kleine Ort ist eigentlich wirklich nett, doch nach sechs Stunden auf dem Bike war ich recht müde und so hübsch anzusehen diese kleine Stadt auch ist, der teils felsige Untergrund und die geröllartigen Strassen bereiteten mir mit meiner vollgepackten GS an diesem Abend einige Schwierigkeiten. Ich bin die Strassen auf und abgefahren, um mein Hotel zu finden. Mein GPS wollte mich Gassen hinaufschicken, die vielleicht zu Fuß zu meistern waren, nicht jedoch mit einer Maschine, welche beladen 350 Kilogramm auf die Waage brachte. So kam was kommen musste. Bei einer Kehrtwende versuchte ich den Fuß auf den Boden zu bekommen und trat ins Leere. Solche Fehltritte haben dann auch unverzeihliche Konsequenzen und so ging ich das erste Mal vollgepackt zu Boden.

 Am nächsten Tag ging es nach Kappadokien, wo ich am frühen Nachmittag in Göreme eintraf. Es ist ein kleiner Ort, berühmt für seine Steinformationen und ebenfalls UNESCO Weltkulturerbe. Da ich von Kappadokien an einem Tag nach Mardin fahren wollte, einer alten Stadt im Südosten der Türkei, rund 20 km nördlich der Grenze zu Syrien und nicht unweit vom Irak, war ich einen Tag später bereits um 6:00 Uhr auf der Strasse. Als ich Göreme früh morgens verließ, offenbarte sich mir noch ein besonderes Schauspiel. Dutzende Heißluftballons stiegen in die Höhe und gaben Besuchern die Möglichkeit, die besonders geartete Landschaft aus der Luft zu erleben.

 An diesem Tag war ich mal wieder etwas zügiger unterwegs. 800 Kilometer entsprechen grundsätzlich nicht meiner gewünschten Tagesdistanz, aber da ich mich am Samstag noch einmal mit Jim und David in Van treffen wollte, musste die Hand am Gas bleiben. Irgendwie hatte ich in der Türkei auch das Gefühl, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen lediglich als Orientierungspunkte gelten. Bei ausgeschilderten 50 km/h kann es schon mal vorkommen, dass der Verkehr mit 100 Sachen dahinrollt. Also reihte ich mich entsprechend …

 Ich sah das Winken schon aus der Ferne und es galt dann auch unmissverständlich mir. Vier Polizisten versuchten mir zu erklären, dass ich vom Radar erfasst wurde. Dass ich zu schnell war, war mir schon klar. Die Frage war nur, wie viel war eigentlich erlaubt … Sie beließen es aber bei einem freundlichen Verweis, wiesen auf mein Tacho und signalisierten mir, ich sollte die 100 nicht überschreiten.

 Im Süden der Türkei ging es dann nach Mesopotamien. Das fruchtbare Zweistromland, war mir noch aus dem Geografieunterricht meiner Kindheit in Erinnerung geblieben.  Mittlerweile befand ich mich auch unweit der syrischen Grenze und erreichte etwas ermattet die auf einem Burghügel liegende Altstadt von Mardin.

 Wissentlich, dass ich nach dieser Tagesetappe nicht mehr taufrisch sein werde, buchte ich das Hotel im voraus. Alles lief gut bis Mardin, dann steckte ich plötzlich in einem Stau. Einmal unternahm ich den Versuch, langsam am Verkehr vorbeizufahren, doch ein entgegenkommender Bus, dem ich in den engen Strassen auf umständliche Weise auszuweichen versuchte, sorgte dafür, dass ich mich bei der Hitze wieder geduldig einreihte. Am Ende des Staus machte sich dann erstmals Frustration breit. Die Strasse war aufgrund von Baumaßnahmen gesperrt und es hieß umkehren. Wie aber sollte ich dann zu meinem Hotel kommen? Mit Englisch war in dieser Gegend nicht mehr viel anzufangen und ich sprach weder Türkisch, noch Arabisch oder Kurdisch. Dennoch ließ sich der Kommunikation entnehmen, dass es hier offensichtlich nicht weiterging und ich es von der anderen Seite der Stadt versuchen sollte.

 Das tat ich dann auch mit dem gleichen Ergebnis. Zudem erinnerten mich einige der Strassen an Safranbolu und ich hatte wenig Lust auf ein ähnliches „Erlebnis“. Mein GPS wollte mich dieses Mal Gassen entlang schicken, die es nicht gab und als ich mehrfach meine Hotel-Adresse vorzeigte schlug man mir vor, dass Motorrad einfach stehen zu lassen und zu Fuß zum Hotel zu laufen. Ja, klar. Ich war über 10 Stunden unterwegs und hatte bereits mehr als eine Stunde damit zugebracht in diesem Städchen meinen Weg zum Hotel zu finden. Ganz sicher würde ich jetzt auch noch das Bike einfach mal so am Strassenrand parken und 70 kg Gepäck bergauf schleppen.

 Die Lösung brachte das „Cafe del Mar“ in der Sanat Sokagi. Zuerst einmal erweckte es den Eindruck, jemand spräche hier möglicherweise Englisch, was auch der Fall war. Ich erläuterte mein Anliegen, doch gab man mir auch hier zu verstehen, dass ich aufgrund der Bauarbeiten derzeit unmöglich mit dem Motorrad zum Hotel gelangen würde. Ich war definitiv zu müde, um noch weiter nach Alternativen zu suchen und so fragte ich einfach, ob ich die Nacht auf der Terrasse schlafen könnte. Vedat, der das Restaurant mit seiner Familie betreibt überlegte kurz, willigte dann aber ein.

 Jetzt gab es nur noch ein Problem: Wo bekam ich eine Dusche? Ein Bad gab es hier nicht und so empfahl mir Vedat, ich sollte ein Hammam, ein türkisches Bad aufsuchen. Er gab mir eine Adresse und ich machte mich auf den Weg. Am besagten Ort angekommen, signalisierte man mir in Kurdisch, dass ich in zwei Stunden wiederkommen solle, da zu dieser Zeit die Frauen das Bad nutzen. In Anbetracht der letzten 11 Stunden hielt sich meine Begeisterung in Grenzen, aber ich machte zur besagten Zeit einen neuen Versuch. Das ganze war etwas ungewöhnlich aber am Ende des Tages hatte ich meine Dusche, wenn auch mit geschöpftem Wasser und aus Metallschalen.

Nach dem Abendessen zeigte sich Mesopotamien dann nicht mehr von seiner Sonnenseite und es fing heftig an zu regnen und zu gewittern. Vedat und sein Bruder boten mir daraufhin an, im Restaurant zu übernachten, wo auch sie einen Raum bewohnten. Es regnete auch noch bei Sonnenaufgang und so packte ich noch vor dem Frühstück meine Sachen und verließ die Stadt im Regen.

 Dieser Samstag ließ nicht so wirklich Freude aufkommen. Es war kalt, es regnete und die Strassenbedingungen erforderten erhöhte Aufmerksamkeit. Als ich in durch Midyat kam und kurz stoppte, stand plötzlich ein Mann neben mir im Regen und grüßte freundlich. Nun sprach er kein Englisch und ich kein Kurdisch und so gab es eigentlich nicht viel auszutauschen, außer einem freundlichen Lächeln. Er signalisierte mir jedoch mehrfach, ich solle einfach auf einen Tee mit herüberkommen. Eigentlich wollte ich bei diesen Wetterbedingungen nur so schnell wie möglich nach Van, aber dann fragte ich mich, warum eigentlich nicht. Die Einladung war zu herzlich. Es gab nicht nur Tee sondern auch noch Brot mit dem hier typischen Feta-Käse und Joghurt. Nicht dass wir viel geredet hätten, es waren einfach nur 15 Minuten gefüllt mit Herzlichkeit. Einer der Männer, mit denen ich frühstückte, war Syrer. Er war aufgrund des Bürgerkrieges seit gut zwei Monaten in der Türkei, sprach ein paar Brocken Englisch und auf meine Frage was er nun mache, antwortete er: „Wir wollen einfach nur leben“.

 In Van angekommen verbrachte ich den Abend mit David und Jim und blieb noch zwei weitere Tage in der Stadt, bevor ich mich aufmachte, die Grenze zum Iran zu überqueren. Es war ein Land, welches ich kennenlernen wollte, welchem ich aber auch mit gemischten Gefühlen entgegensah.