Willkommen im Iran

If travelling is most rewarding when it surprises, then Iran might be the most rewarding destination on earth. – Andrew Burke

In meinem Visa-Antrag hatte ich den Grenzübergang Bazargan angegeben, doch da das Wetter mal wieder nach Regen aussah, entschied ich mich den kürzesten Weg von Van (Türkei) nach Tabriz (Iran) zu nehmen. Ich hatte keine Ahnung, ob die Angaben im Visa-Antrag irgendwo gespeichert wurden und von Relevanz waren. Im schlimmsten Fall würde ich wahrscheinlich an der Iranischen Grenze abgewiesen, müsste erneut in die Türkei einreisen und einen mehrstündigen Umweg nach Bazargan nehmen – aber ich ließ es mal darauf ankommen.

Ich erreichte die Grenze gegen Mittag und wie so oft in den letzten Tagen regnete es. Die Ausreise aus der Türkei verlief problemlos. Dann ging es auf die iranische Seite. Um in einige Länder mit dem eigenen Fahrzeug einzureisen, bedarf es eines „Carnet de Passages“, ein Dokument, welches verbrieft, dass das Fahrzeug nur temporär eingeführt wird und somit keine Einfuhrzölle erhoben werden. In Deutschland wird das Carnet durch den deutschen Automobilclub ADAC ausgestellt und muss mit Bankbürgschaft oder Bargeldhinterlegung abgesichert werden. Sollte das Dokument nicht ordnungsgemäß bei Ein- und Ausreise gestempelt werden, kann es kompliziert werden. In einigen Ländern würden Einfuhrzölle von mehr als 100% des Fahrzeugwertes fällig. Für die Einreise in den Iran ist das Carnet de Passages ebenfalls unabdinglich.

Doch zuerst einmal ging es zur Migration. Der Grenzbeamte begutachtete meinen Pass und fragte mich mehrfach, wo ich herkomme. Der Pass würde gedreht und gewendet, das Visum sorgsam inspiziert und auf meine Nachfrage, ob es ein Problem gäbe, wurde mir nur mitgeteilt „Please, sit down Sir!“. Erst später klärten sich für mich einige Fragen. Mitte Juni stehen im Iran Wahlen an. Die Amtszeit von Ahmadinedschad geht damit zu Ende und ein neuer Präsident wird gewählt werden. Aufgrund der Wahlen in diesem Jahr, ist es offensichtlich auch erheblich schwieriger, ein Visum für die Einreise zu erhalten. Lucky me, I got one !

Letztlich waren auch die Grenzposten zufrieden mit meinen Dokumenten, ich bekam den Einreisestempel, musste eine Versicherung für das Motorrad abschließen und auch mein Carnet wurde gezeichnet und gestempelt – allerdings in Farsi und somit hatte ich keine Ahnung, was auf den Dokumenten vermerkt wurde.

Am Abend erreichte ich dann Tabriz, eine Stadt mit mehr 1,5 Mio. Einwohnern. Auf meinem Weg fragte ich mich, wie ich Farshid, bei dem ich übernachten wollte, eigentlich finden sollte. Er bat mich, ihn anzurufen, wenn ich in der Stadt sei, doch internationale SIM-Karten funktionieren im Iran nicht und ich hatte noch keine Ahnung, wo ich eine lokale Karte kaufen konnte.

Also signalisierte ich einem Moped-Fahrer im Strassenverkehr, dass ich kurz mit ihm reden wollte. Er sprach zwar kein Englisch, war jedoch sofort dabei, jemanden zu suchen, der der Sprache mächtig war. Kurz darauf kam er erfolgreich zurück und mittlerweile boten weitere Iraner, welche am Strassenrand von mir Kenntnis genommen hatten, ihre Hilfe an. Ich fragte, ob jemand Farshid anrufen könnte, um ihm mitzuteilen, dass ich in der Stadt sei und um zu fragen, wohin ich fahren sollte. Die Antwort kam prompt. Ich solle warten, Farshid käme mich in 30 Minuten abholen. Ich war beeindruckt. In der Zwischenzeit wurde mir Tee angeboten und man stellte mir die halbe Familie inklusiver Freunde vor.

Als Farshid auftauchte, bedankte ich mich für die Hilfe, es wurden ein paar Fotos gemacht und ich folgte ihm und seinem Freund Amir durch die City. Mit seiner Unterstützung besorgte ich mir noch am gleichen Abend eine locale SIM Karte, wobei ich auch den Namen meines Vaters im Vertrag erwähnen musste. Am Ende musste der Antrag mit Unterschrift und Fingerabdrücken besiegelt werden.

Nachdem Fahrshid sein Geschäft spät abends geschlossen hatte, fuhren wir zu ihm nach Hause. Gegen Mitternacht wurde Hühnchen gegrillt und wir sprachen über das Leben im Iran, die Politik der Regierung, die Schwierigkeiten im Alltag, Auswirkungen der Sanktionen und darüber, welche Wege eine Generation findet, die weder mit den Machenschaften einer fundamental islamistischen Regierung übereinstimmt, noch sich mit den auferlegten Richtlinien und Gesetzen zu identifizieren vermag.

Gegen 3:00 Uhr morgens entschied ich mich, auch den folgenden Tag in Tabriz zu bleiben. Amir bot mir an, sich weitestgehend frei zu halten und mir die Stadt zu zeigen und ich durfte erleben, was es heißt, als junger Mensch im Iran aufzuwachsen. Offiziell ist es nicht gestattet, dass unverheiratete Männer und Frauen öffentlich „Händchen halten“, gemeinsam Café trinken oder ins Kino gehen. In Shopping Malls werden Durchsagen gemacht, welche die Frauen darauf hinweisen, ihre Haare unter dem Kopftuch zu verbergen. All das kam mir zeitweise vor wie ein Science Fiction Film, bei dem eine Institution versucht, das Leben der Menschen im Detail zu kontrollieren … Bedauerlicherweise ist dies Wirklichkeit im 21. Jahrhundert.

Doch die Menschen im Iran sind aufgeschlossen und riskieren zeitweise von der Polizei aufgegriffen zu werden. Frauen tragen weit zurückgebundene modische Kopftücher, benutzen Make-Up und zeigen sich in modernen Jeans unter dem nach wie vor vorgeschriebenem Tschador. Die Mehrheit im Land steht nicht dafür ein, was Ahmadinedschad der Welt gegenüber präsentiert. Doch Mahmud Ahmadinedschad ist nur der Repäsentant des islamischen Staates. Die tatsächliche Macht liegt in den Händen von Ali Chamene’i, politischer und religiöser Führer des Iran und Nachfolger von Chomeini, spiritueller Führer der Islamischen Revolution. Bilder von Chamene’I und Chomeini finden sich überall im Land – in Geschäften und öffentlichen Gebäuden – doch eine derartige Omnipräsenz bedeutet nicht gleichzeitig, dass ein Volk die Sichtweisen seiner obersten Rechtsgelehrten widerspruchslos mitträgt.

Macht man seine Reiseentscheidungen lediglich davon abhängig, was Freunde und Verwandte sagen, wird man den Iran wahrscheinlich nie kennenlernen. Es ist ein Land deren politischer Eskapaden man nur schwer zu entkommen vermag. Doch für jene, welche mit Vorstellungen und Bilder aufgewachsen sind, die den Iran als düsteres Land radikaler Fundamentalisten kennzeichnen, wird die Entdeckung des wirklichen Iran zu einer der wunderbarsten Überraschungen. Jenseits der Vorurteile findet sich ein Land, welches den tiefen Wunsch hegt, als das gesehen zu werden, was es tatsächlich ist und weniger als das, was über News und Medien vermittelt wird.

Wer Menschen mag, wird den Iran mögen. Die Iraner, ein Volk, welches sich aus unzähligen ethnischen Gruppen zusammensetzt und über Jahrtausende von Griechen, Arabern, Türken und Mongolen geprägt wurde, sind unendlich gastfreundlich. Menschen sprechen einen auf der Strasse an, laden zum Tee ein und sind in jeder Hinsicht hilfsbereit. Es gibt keinen Grund, sich im Iran allein gelassen zu fühlen und meine Reise durch dieses Land hat meine Sichtweise auf diesen Teil der Erde grundlegend verändert.

Von Tabriz ging es nach Qazvin und auf meinem Weg fing es mal wieder an zu regnen. Ich wunderte mich noch, warum der Regen diesmal so schmerzhaft war. Doch es regnetet nicht nur. Ich kam in einen heftigen Hagelschauer und die Temparturen fielen auf fünf Grad. Als ich an einer Tankstelle Schutz suchte, bot man mir Tee und einen Platz neben einem Heizstrahler an. Ich verbrachte eine Nacht in Qazvin und fuhr dann weiter nach Esfahan und Shiraz. Zwei Städte, schön und berümt zugleich und reich an Menschen mit außergewöhnlicher Gastfreundschaft.

Doch davon später mehr.