Der Süden - Von Hanoi nach Saigon

In the end, it’s not going to matter how many breaths you took, but how many moments took your breath away  –  Shing Xiong

Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein und ich gab meinem Bruder einen „free ride“ vom Flughafen in’s Altstadt-Viertel von Hanoi. Am Airport kam es kurz zuvor noch zu einer Diskussionen zwischen mir und den Sicherheitsbeamten, die mir untersagen wollten, den öffentlichen und gebührenpflichtigen Parkplatz zu benutzen. Motorräder seien hier angeblich nicht erlaubt und so wollte man mich in Richtung Stadt zurück schicken. No way! Nach kurzer (und entschiedener) Auseinandersetzung durfte ich das Bike direkt neben ihrem Wachhäuschen parken. Exzellente Lösung.

Am darauffolgenden Tag lösten wir zwei Tickets für einen kleinen MiniBus nach Ha Long, was in eine wenig entspannte, vierstündige Busfahrt mündete. Der Busfahrer setzte alles daran, der mit Abstand schnellste auf der Strasse zu sein und je näher wir Ha Long kamen, je häufiger kassierte unser MiniBus nervöse Schweinwerfersignale von entgegenkommenden Fahrzeugen …

Dann verbrachten wir jedoch drei tolle Tage auf einem Boot in Halong Bay. Die Bucht gehört seit 2011 zu den New7Wonders of Nature und ist tatsächlich atemberaubend schön. Bleibt man mehr als nur eine Nacht an Bord, hat man Möglichkeit, Halong Bay abseits des Massentourismus kennenzulernen. Definitiv erlebenswert ! Und wann hat man schon mal die Gelegenheit vom Dach eines Bootes in den Ozean zu springen …

Wenige Tage später hiess es dann wieder Abschied nehmen. Während mein Bruder am Montag Morgen um 8:00 Uhr sein Shuttle zum Flughafen nahm, machte ich mich auf den Weg nach Hue. Mir verblieb nur noch eine Woche in Vietnam und da im Rahmen meiner Sondergenehmigungen auch die zu nutzenden Grenzübergänge definiert waren, musste ich das Land im Süden Richtung Kambodscha verlassen. Nun sind die Strassen in Vietnam nicht mit denen in Deutschland vergleichbar – weder mit den Autobahnen noch mit den Landstrassen. Doch was dem Deutschen das Auto ist, ist dem Vietnamesen das Moped. Nie zuvor habe ich so viele Zweiräder auf einmal gesehen. Mehr als 90 Prozent der Fahrzeuge auf der Strasse sind angeblich Mopeds oder Skooter. In ganz Vietnam finden sich somit Millionen und aber Millionen von diesen kleinen Dingern und jeder versucht seinen individuellen Weg durch den Verkehr zu finden.

Drei Personen auf einem Skooter? Kein Problem. Vier Personen? Geht auch noch? Was, das Baby muss ja auch noch mit? Kommt auf den Arm … Fehlt nur noch die verkehrsgerechte Kleidung: FlipFlops, T-Shirt und Shorts. Gelegentlich ein Helm, muss aber nicht sein. Einmal fragte mich jemand, warum ich meinen KLIM Anzug trage.

Meine Antwort: Zur Sicherheit.
Der Vietnamese: Ahh, wegen der Sonne.
Ich: Nein, aus Sicherheitsgründen, falls es zu einem Sturz oder Unfall kommen sollte.
Er: Hmmm.

Zu Unfällen kommt es nicht selten. Als ich eine Unfallstelle im Süden passierte, lagen die Skooter 30 Meter von einander entfernt auf der Strasse, während die Polizei eifrig dabei war, Kreidezeichnungen anzufertigen … Ich machte mir besser kein Bild davon, wie die beteiligten Personen aussahen.

Und nun hatte ich eine Woche und mehr als 2.000 Kilometer crazy traffic vor mir. Wie beschreibt man das am besten? Von Hanoi nach Hue waren es etwa 650 km. Der Lonely Planet weist für Autos und Mopeds dazu 16 Stunden aus. Unter Ausnutzung all meiner Optionen brauchte ich neun Stunden. Ich stoppte lediglich, um meinen Wasserhaushalt zu regulieren. Der Seitenstreifen (gewöhnlich reserviert für Mopeds) war dabei eben so gut, wie die Überholspur.

„Objekte“, denen es auszuweichen galt, kamen von überall her. Kühe auf der Strasse, Mopeds in entgegengesetzter Fahrtrichtung, quer kreuzende Skooter, die dem umliegenden Verkehr wenig Beachtung schenken, ungeduldige Busfahrer, welche dazu tendieren, einen gern mal zu übersehen und entgegenkommende Trucks, welche einem per Lichthupe zu verstehen geben, dass der Überholvorgang nicht abgeschlossen sein wird, bis sie auf meiner Höhe sind. Keine gute Idee da auf sein Recht zu pochen … Wohin ausweichen? Mein Problem. Der Truck nimmt in jedem Fall mal meine Fahrspur.

Zeitweise kam es mir vor, wie ein schnelles Computergame, wobei man bei einem Spiel gewöhnlich mehr als ein Leben hat und sobald „Game Over“ auf dem Bildschirm erscheint, ein Neustart per Knopfdruck problemlos möglich ist.

Was oft unterschätzt wurde ist meine eigene Geschwindigkeit. Die 1200 GS ist kein Skooter und ich reise problemlos mit der gleichen Geschwindigkeit wie ein Landrover oder ein Reisebus. In diesen Tagen lernte ich zwei Eigenschaften meiner Adventure besonders zu schätzen. Zum einen das Extra an Power, welches mir zügiges Ausweichen und Überholen ermöglichte. Zum anderen das sehr gute von BMW verwendete Integral ABS. Gefühlt würde ich sagen, dass die Bremsen in Vietnam mehr beansprucht wurden als auf meinem Weg von Europa nach Asien. Das entspricht sicher nicht den Tatsachen, aber ein Blick auf meine Bremssteine unterstreicht das Empfinden, dass die Abnutzung in Vietnam überdurchschnittlich hoch war. Mehr als einmal musste ich so heftig in die Eisen steigen, dass das Vorderrad trotz ABS einen quietschenden Sound auf dem Asphalt hinterliess. In dieser Woche wurde eine ganze Menge Adrenalin in die Blutbahn gepumpt …

Der Süden des Landes hat einige schöne Strände zu bieten, wobei mir zum Sonnenbaden allerdings kaum Zeit blieb. Sonntag Abend erreichte ich Ho Chi Minh. Die grösste Stadt Vietnams ist im Ausland nach wie vor unter ihrem alten Namen Saigon bekannt und war bis 1975 Hauptstadt der Republik Süd-Vietnam. Ich entschied mich spontan, zwei Nächte zu bleiben. Ursprünglich wollte ich gleich am nächsten Tag weiter in Richtung Grenze reisen. Doch die Stadt war zu attraktiv, um einfach nur zu übernachten und weiterzuziehen. Somit erkundete ich die City am Folgetag zu Fuss und war dafür am Dienstag bei Sonnenaufgang auf der Strasse. Es war der letzte Tag an dem sowohl mein Visums als auch meine Sondergenehmigung gültig waren – und es waren noch einmal 350 Kilometer crazy traffic. Es durfte also nicht viel dazwischen kommen, um das Land sicher zu verlassen und nach Kambodscha einzureisen.

Aber wie das so ist, gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet, wird es kompliziert. Von Ho Chi Minh gab es einen Highway Richtung Grenze und dieser ist tatsächlich vergleichbar mit deutschen Autobahnen. Ich wusste nicht, wie lang dieser Highway war, aber einen ähnlichen ExpressWay von ca. 60 Kilometer Länge nutzte ich, als ich Hanoi verließ. Meine Hoffnungen bauten darauf, das der HCM-Highway deutlich länger sein würde.

In Ho Chi Minh wollte man mich jedoch gar nicht erst auf den Highway drauf lassen. Der Weg wurde mir an der Maut-Station versperrt. Mopeds seien nicht erlaubt. Jegliche Argumentation lief ins Leere. Das kostete nun wertvolle Zeit! Also bin ich zurück auf die Landstrasse. 15 Minuten später pfiff mich die Polizei von der Strasse. Angeblich dürfte ich nur die ganz rechte Spur für Mopeds benutzen. Jetzt wurde es nicht nur ärgerlich, sondern auch ziemlich heikel, wenn ich das Land heute noch verlassen wollte. Auf den mehr als 2.500 Kilometern durchs Land verwies mich die Polizei zu keinem Zeitpunkt auf die rechte Spur für Skooter und Mopeds. Meine Entrüstung darüber liess ich auch mehr als deutlich durchblicken. Einer der Polizisten war schon dabei, ein Strafmandat auszufüllen, während ich meine Papiere vorzeigte und dem Vorgehen der Herren vehement widersprach. Ich kann nicht sagen, ob diese morgendliche Prozedur nur Schikane war, um ein paar Strafzettel zu verteilen oder tatsächlich Berechtigung hatte. Aufgrund meiner Empörung über das polizeiliche Vorgehen winkte einer der Beamten jedoch ab und signalisierte, mich fahren zu lassen. Unter zeitlichen Aspekten fing der Tag also ein wenig suboptimal an und die Strassen wurden nicht besser.

Die ersten zwei Stunden verstrichen, ohne dass ich sonderlich viele Meilen hinter mir liess. So konnte es eng werden bis zur Grenze. Es bedurfte einer taktischen Änderung – und dieses Mal würde es nicht ganz regelkonform sein … Ich musste auf den Highway. In China hatten wir einige Male den ExpressHighway genommen, obwohl wir wussten, dass es nicht erlaubt war. Zwei Mal wurden wir von der Polizei gestoppt und von der Strasse eskortiert. Die ersten Augenblicke beim Zusammentreffen mit der chinesischen Polizei zählten nicht zu meinen romantischsten Momenten… Man wollte uns weismachen, dass die Landstrassen für uns sicherer waren. Ja klar, Landstrassen mit all den kleinen Lastwagen, den grossen Trucks, Mopeds und Bussen, wo alle möglichen Tiere frei umherlaufen, Baustellen schlecht oder gar nicht gekennzeichnet sind, wo Löcher und Strassenunterbrechungen allgegenwärtig sind und kleine Kinder am Strassenrand spielen sind ohne Frage sicherer. An einem dieser Tage, an denen wir vom Highway verwiesen wurden, rammte sich BigJim beim passieren einer Baustelle eine Metallstange durch seinen Aluminiumkoffer, wobei der Koffer komplett vom Motorrad gerissen wurde. „Sicherheit“ war auf diesen Landstrassen nicht viel wert …

Ich sah also auf meine Karte und machte aus, wo die nächste Auffahrt verzeichnet war. Ich musste an der Maut-Station vorbei, ohne angehalten zu werden. Gebühren waren nicht das Thema, da diese in den meisten Ländern für Motorräder ohnehin nicht anfallen. Man darf jedoch sagen, dass ich aus Erfahrung nur all zu gut wusste, dass man versuchen würde, mich aufzuhalten. Das Timing war entscheidend und ich musste eine Schranke finden, die mir immer noch genügend Platz bot, um seitlich daran vorbeizukommen. Und all das in nur wenigen Sekunden … Mein lieber Herr Gesangsverein, ich war kein grosser Freund von der Idee, aber ich musste meine Ausreise am Nachmittag sicherstellen.

Ich fuhr auf die Maut-Station zu und sah den Sicherheitsbeamten schon aufstehen. Ich scannte meine Optionen, machte eine mögliche Durchfahrt aus während der Beamte wild gestikulierend auf mich zulief … Ich schaltete einen Gang runter, liess die Kupplung kommen und und öffnete den Gashahn … Der Boxer röhrte und noch bevor der pflichtbewusste vietnamesische Kontrollposten eine echte Chance hatte mich aufzuhalten, war ich an der Schranke vorbei.

Ein toller Highway und wenig Verkehr. Natürlich fragte ich mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ich Gesellschaft bekommen würde. Aber jeder Kilometer auf dem Highway machte wertvolle Zeit gut. 50 Kilometer später kam die nächste Toll-Box in Sicht … und ich war nicht wirklich überrascht, dass ich bereits erwartet wurde. Ein Streifenwagen und drei Polizisten hielten Ausschau nach mir. Die Trillerpfeife war deutlich zu hören und dieses Mal hatten die Jungs das Recht auf ihrer Seite. Ich hielt vorschriftsmäßig an, nahm meinen Helm ab und hörte erst einmal zu. Dann zeigte ich ihnen meine Sondergenehmigungen und erklärte ihnen meine Tagesmission. Nach gut einer Minute wurde die Situation entspannter. Sie wiederholten, dass Motorräder auf dem Highway in Vietnam nicht erlaubt seien. Ich willigte ein. Wir gaben uns die Hand und ich bedanke mich für ihr Verständnis. Dann liessen sie mich ziehen. Der Highway endete hier übrigens ohnehin.

Die nächsten Stunden schlug ich mich wieder auf schmalen Strassen durch, versuchte ungeduldige Busfahrer zu passieren, wich hunderten von Mopeds aus, überholte Trucks mal rechts mal links, liess die Bremsen für herumstehende Kühe glühen und verliess Viet Nam am Nachmittag in Richtung Kambodscha.

Vietnam ist ein atemberaubendes Land und ich verbrachte hier deutlich mehr Zeit, als ich ursprünglich mal angenommen hatte.

Doch jeder Tag war es wert gewesen.

Kleine Randbemerkung: Nach fünf Monaten auf der Strasse, habe ich dem Menü nun eine Galerie mit „Impressionen & Best Shots“ hinzugefügt.
Impressionen & Best Shots .